PV und Netze: Gemeinschaftliche Reformoffensive starten
Photovoltaik-Zubau stößt auf immer gravierende Engpässe in den Stromnetzen. PV Think Tank skizziert Herausforderungen und schlägt Lösungswege vor. Der vorliegende Impuls adressiert daher folgenden Fragen:
- Warum brauchen wir Netz-Reformoffensive für erfolgreichen PV-Zubau?
- Was sind Herausforderungen, Perspektiven und gemeinsame Lösungen?
- Wie kann eine Netz-Reformoffensive in 11 Bereichen aussehen?
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Inhaltsverzeichnis
I. Auf den Punkt: PV-Netz-Reform starten oder PV-Zubau riskieren
1. PV-Zubau braucht Netze
2. Netzengpässe rücken 2024 mit Wucht auf die politische Agenda
3. Eine Netz-Reformoffensive ist wichtig für erfolgreichen PV-Zubau
II. Herausforderungen & Sorgen:
1. Perspektive der Netzbetreiber
2. Perspektive der PV-Betreiber
III. Vorschläge für eine gemeinsame Reformoffensive
1. Lagerdenken-Überwindungs-Offensive
2. Digitalisierungs-Offensive
3. Standardisierungs-Offensive
4. Entbürokratisierungs-Offensive
5. Anreizregulierungs-Offensive
6. Flexibilitäts-Offensive
7. Datentransparenz-Offensive
8. Kupfer-Offensive
9. Netzauslastungs-Offensive
10. VNB-Konsolidierungs-Offensive
11. Einspeisenetz-Offensive
I. Auf den Punkt: PV-Netz-Reform starten oder PV-Zubau riskieren
1. PV-Zubau braucht Netze
Der Photovoltaik-Zubau hat im Jahr 2023 mit 14 Gigawatt Zubau einen neuen Rekord erreicht. Es ist ein bedeutender Meilenstein auf dem Weg zu den gesetzlich anvisierten 215 Gigawatt installierter Photovoltaik (PV) im Jahr 2030 bzw. 445 Gigawatt bis 2045.[1] Das Tempo muss jedoch weiter zulegen. Der jährliche Zubau soll bald 22 Gigawatt pro Jahr betragen. Kurzum: Es geht um große Mengen PV-Strom, die es erfolgreich im Energiesystem zu integrieren gilt.
Damit dies gelingen kann, braucht die PV funktionierende Netze. Egal ob der PV-Strom in kleinen oder großen Anlagen mit oder ohne Speicher, auf Dächern und auf Freiflächen produziert wird: Grundsätzlich ist die PV netzgekoppelt. Zwar ist absehbar, dass ein signifikanter Teil der PV-Erzeugung von kleinen Prosumern oder im Rahmen der industriellen Eigenversorgung direkt vor Ort verbraucht und in Grenzen flexibilisiert werden kann.[2] Generell ist aber klar, dass auch diese Anlagen und damit millionenfache, neue PV-Kraftwerke auf funktionsfähige Verteilnetze angewiesen sind. Entweder für den lokalen und regionalen Verbrauch oder aber für den Abtransport über das Übertragungsnetz.
2. Netzengpässe rücken 2024 mit Wucht auf die politische Agenda
Der schnelle Hochlauf beim PV-Zubau im Jahr 2023 ist ein Erfolg. Zugleich rücken damit strukturelle Engpässe mit Wucht in den Fokus. Vielerorts mehren sich bereits die Anzeichen der Überforderung.
So überfordert das Hochschnellen der Netzanschlussbegehren viele Verteilnetzbetreiber. Zuletzt gab es regional sprunghafte Anstiege (vgl. Abb. 1). Gegenüber 2021 ist die Anzahl der Netzanschlussanfragen im Verteilnetz im PV-Bereich um 240 Prozent auf rund 800.000 gestiegen. Immer mehr Anfragen für Netzanschlüsse treffen so auf immer engere Kapazitäten der Netzbetreiber, auch weil die aktuellen Prozesse ineffizient, wenig digitalisiert und uneinheitlich sind. Die Konsequenzen werden sowohl im physischen Netz spürbar als auch bei bearbeitenden Prozessen und Strukturen. Fristüberschreitungen bei Anträgen und Planungsunsicherheiten sind die Folge und die Regel. Und auch Klageverfahren zu Netzanschlüssen nehmen zu, weil Verteilnetzbetreiber mit den steigenden Anforderungen überfordert sind.
In anderen Regionen sind große Mengen der neu angeschlossenen Anlagen bereits heute unmittelbar von Abregelungen betroffen.[3] Auch Betreiber von alten PV-Anlagen registrieren Eingriffe im Rahmen des Redispatch, die 2023 mitunter 10 Prozent höher lagen als noch 2022. Die Zahl der Abregelungen steigt. Und damit steigen die Stromkosten für die Bürger:innen und Unternehmen in zweifacher Weise: Folge sind erhöhte Netzentgelte aufgrund von Netzeingriffen und fehlender günstiger PV-Strom.
Auch in der Politik rückt die Herausforderung somit immer mehr auf die Agenda. Es steigt folgerichtig die Frequenz der Abstimmungsrunden und regulatorischen Reformprojekte. So ist es sehr hilfreich, dass mit der EnWG-Novelle im Herbst 2023 ein Entschließungsantrag beschlossen wurde,[4] dass innerhalb von drei Monaten – also Anfang 2024 – ein Regelungsentwurf vorgelegt werden soll, der Netzanschlussbegehren, Kapazitätsauskünfte und das Thema Netzreservierung adressiert.
Wichtige und teilweise schon umgesetzte Aspekte sind zusätzlich auf der Agenda. Zu nennen ist etwa das Wegenutzungsrecht oder die Beschleunigung der Netzanschlüsse in der Solarstrategie[5] und im Solarpaket, die BNetzA-Beschlüsse zur Integration steuerbarer Verbrauchseinrichtungen nach §14a EnWG[6], der vorgelegte Entwurf der Speicherstrategie[7] oder der eingerichtete Branchendialog zur Beschleunigung von Netzanschlüssen, in dessen Rahmen die „Unverbindliche Netzanschlussprüfung“ oder Mechanismen der „Kapazitätsreservierung“[8] diskutiert werden.
Es gilt aber, sich ehrlich zu machen: Die riesige Aufgabe, das Verteilungsnetz für die Erneuerbaren, Speicher, verändertes Abnahmeverhalten und neue Verbraucher fit zu machen, wird noch nicht mit den richtigen Maßnahmen adressiert. Die diskutierten Maßnahmen setzen noch oft auf veralteten Prozessen auf, statt auf Kooperation. In Anbetracht der Größenordnung der sich aufbauenden Probleme, sind die bisherigen Schritte allenfalls ein Anfang.
Die Netzanbindung der vielen neuen PV-Anlagen wird mehr und mehr zur Schlüsselfrage für den Ausbau der Photovoltaik – weltweit und vor allem auch in Deutschland.[9] Wird diese nicht schnell und umfassend gelöst, werden die PV-Ausbauziele nicht erreicht. Bereits in den nächsten zwei Jahren droht das PV-Großanlagensegment hart ausgebremst zu werden. Das wäre nicht nur für die PV-Branche ein Problem. Es würde letztlich auch die geplante Elektrifizierung von Industrieprozessen und die Dekarbonisierung massiv gefährden.
Nicht jede Kilowattstunde PV-Strom muss vom Netz aufgenommen werden können, denn Vor-Ort-Verbrauch und die Zwischenspeicherung existieren bereits heute und auch ein funktionierender Redispatch der Photovoltaik ist notwendig. Aber: Wenn PV-Anlagen in den nächsten Jahren aufgrund fehlender oder versagter Netzanschlüsse überhaupt nicht entstehen, werden sie auch keine günstigen Kilowattstunden PV-Strom produzieren – unabhängig davon, ob diese Kilowattstunden für den Eigenverbrauch oder den Energiemarkt bestimmt sind.
3. Eine Netz-Reformoffensive ist wichtig für erfolgreichen PV-Zubau
Kurzum: Für die Ziele der Energiewende wird eine umfassende und mutige Netz-Offensive benötigt. Die Baustellen reichen vom Netzausbau, der Netzertüchtigung, Netzplanung, qualifizierten Netzauskünften, der Netzstabilität, Systemdienstleitungen und verbessertem Redispatch bis hin zu Flexibilitäten, Speichern, dynamischen Tarifen, Smart Metern oder der optimierten Zuweisung der Netzanschlusspunkte sowie Netzentgelten und der Anreizregulierung.
Im Kern sind im Zuge des PV-Hochlaufs folgende, übergeordnete Netzthemen und Fragen relevant (vgl. folgende tabellarische Übersicht):
- Netzinfrastruktur: Sind ausreichend Kapazitäten vorhanden?
- Netzmanagement: Werden Netze effizient genutzt?
- Netzein- und Netzausspeisung: Werden Netz-Spitzenlasten gewinnbringend abgepuffert und das Netz kostenreduzierend ausgelastet?
- Netzanschlüsse: Werden Anschlüsse effizient ermöglicht?
- Netzfinanzierung: Sind Anreize für Investitionen und kostenreduzierende Netznutzung ausreichend und Kosten angemessen?
Beim Blick auf diese Herausforderungen unterscheiden sich die Perspektiven der Verteilnetzbetreiber (VNB)[10] und der PV-Betreiber[11]. Sie haben jeweils mit eigenen Sorgen zu kämpfen (vgl. Kapitel II.). Während in der PV-Branche Planungsunsicherheiten bestehen und zunehmende Hemmnisse wahrgenommen werden, sind viele VNB mit den strukturellen Veränderungen überfordert und kommen bei den technischen, personellen, planerischen und regulatorischen Transformationsaufgaben an ihre Grenzen. Das Problem: Bislang prallen diese Perspektiven in den Debatten oft mehr aufeinander, als das an einem Strang gezogen würde.
Eine Lösung der sich dramatisch zuspitzenden Lage kann es daher nur gemeinschaftlich geben. Es braucht nun dringend eine von der Politik getragene, gemeinschaftliche Reformoffensive für Photovoltaik und Netze. Dieses Projekt muss die Akteure zusammenbringen und marktliche und regulatorische Entwicklungspfade aufzeigen, die das System letztlich fit für die gesetzten Ziele macht. Eine (nicht abschließende) Sammlung der Facetten einer solchen Reformagenda sind im Folgenden aufgelistet. Die elf genannten Offensiv-Schritte beziehen sich dabei auf die oben benannten Netzthemen, die es zu adressieren gilt.
II. Herausforderungen & Sorgen: Der Knoten zieht sich weiter zu
Die netzseitigen Herausforderungen für die Photovoltaik sind immens. Die Engpasssituation hat sich 2023 weiter zugespitzt und flächendeckend sind Prozesse und Ressourcen überlastet. Problematisch ist zudem der aktuelle Trend. Denn der „Knoten der Überlastung“ zieht sich aktuell fester zusammen, anstatt sich aufzulösen. Dabei treten unterschiedliche Probleme und Sichtweisen auf.
1. Perspektive der Netzbetreiber
Aus Perspektive der Netzbetreiber sind die Aufgaben, die sich im Zuge der Transformation des Energiesystems ergeben immens. Bei vielen der 888 Verteilnetzbetriebe tun sich etwa folgende Sorgen auf:
- Sorge vor Personalmangel: Wie auch in anderen Branchen fehlt im Netzbetrieb auf allen Ebenen geeignetes Personal — vom Elektriker bis zur Führungskraft. Fachpersonal ist rar und oftmals aufgrund der hohen Anforderungen und extrem steigenden Arbeitslast überarbeitet. Es gibt zudem kaum Nachwuchs.
- Sorge vor mangelnder Finanzierbarkeit: Die Investitionsbedarfe der VNB sind immens. Zugleich sind VNB sehr unterschiedlich aufgestellt. Oftmals ist es schwierig für VNB Fremdkapital einzusammeln, weil das Stromnetz von den Banken nicht als Sicherheit anerkannt wird. Eigenkapital steht trotz guter Handelsrenditen aus dem Energiegeschäft von oftmals 15–20 % nicht ausreichend zur Verfügung, weil Gewinne mitunter für anderweitige kommunale Zwecke eingesetzt werden. Zudem gibt die Anreizregulierung derzeit zu wenig Spielräume für Investitionen in Betriebsausgaben. Und da die Netzentgelte nicht einheitlichen erhoben werden, ergibt sich vor allem für (kleine) Verteilnetzbetreiber im ländlichen Raum mit hohem EE-Zubau teilweise eine verschlechterte Wettbewerbssituation.
- Sorge vor langen Lieferzeiten für netzseitige Komponenten: Engpässe bei Herstellern sorgen dafür, dass die Ertüchtigung der Verteilnetze oftmals an fehlenden oder spät gelieferten Komponenten scheitert. Problematisch wirkt sich dabei aus, dass viele Komponenten heute (unnötigerweise?) als Sonderanfertigungen geordert werden.
- Sorge vor Zielverfehlungen bei der Versorgungssicherheit: Die Versorgung zu gewährlisten gehört zu den Kernaufgaben der Netzbetreiber. Volatile Erneuerbare und stärkere Schwankungen im Verbrauch verändern die Sicherheitsanforderungen und hemmen damit auch die Bereitschaft, Kapazitätsgrenzen stärker auszureizen.
- Sorge vor Überforderung: Die Transformation des Systems geht einher mit vielen neuen Anforderungen und Sonderregeln, die oftmals kaum bewältigt werden können. So sehen sich mehr als die Hälfte der VNB überfordert mit komplexen Prozessen, etwa bei der Marktkommunikation. Problematisch ist dabei, dass Veränderungen von jedem noch so kleinen VNB umgesetzt, also 888-mal neu gedacht und implementiert werden müssen. Auch führt es zu Frustrationen, wenn lange gültige Reglungen, die jahrelang als Sicherheitsstandards galten, plötzlich unwirksam werden und damit rückblickend den Wert der eigenen Arbeit scheinbar entwerten. Change-Management und Paradigmenwechsel sind hier noch unzureichend implementiert bzw. werden mit Sorge gesehen.
2. Perspektive der PV-Betreiber
Die Entwicklung bereitet auch vielen Akteuren in der PV-Branche fundamentale Sorgen. Real existierende, handfeste Probleme behindern zunehmend die Erreichbarkeit der Zubauziele. Die folgende Auflistung verdeutlicht, dass die Sorgen vielfältig und fundamental sind:
- Sorge vor Verzögerungen bei Projekten: Entgegen dem allgemeinen politischen Bestreben, mehr „Deutschland-Geschwindigkeit”, „Tempo“ und „Aufbruch“ bei der Transformation der Infrastruktur an den Tag zu legen,[12] kommt es immer häufiger zu Verzögerungen bei Solar-Projekten. Die gesetzliche Antwortfrist wird z.B. bei Netzanfragen für Solarparks regelmäßig weit überschritten. Marktbeobachter berichten, dass statt der vorgesehenen acht Wochen gerne mal über neun Monate verstreichen.
- Sorge vor mangelnder Planungssicherheit: Verzögerte oder abgelehnte Netzanschlüsse führen vielerorts zu mangelnder Planungssicherheit. Das Risiko vom „Verlust“ einer Netzzusage erhöht für Projektierer weiter die Kosten und führt zu unnötigen Schutzprozessen, die wiederrum zusätzliche Bürokratie auslösen können (sowohl bei Projektentwicklern als auch bei VNB). Diese Unklarheit führt auch zu irrlaufenden Anfragen an Flächeneigentümer hinsichtlich eines PV-Projekts, nachdem vorher dem konkurrierenden Projektierer bereits der Netzanschluss versagt wurde.
- Sorge vor Compliance-Problemen: Gerade in Engpasszeiten fällt es laut Aussagen von Marktakteuren manchen VNB-Schwesterunternehmen mitunter leichter, rechtzeitig Anschlüsse zu „finden“. Marktakteure berichten von wiederholten Wettbewerbsverzerrungen durch illegale Absprachen zwischen lokal verbandelten Netzbetreibern und Erzeugern.
- Sorge vor Kostenanstiegen: In der PV-Branche wird davon ausgegangen, dass Planungskosten um bis zu 50 % niedriger sein könnten, wenn Prozesse bei VNB durch bessere Standards und Regeln vereinfacht würden. So könnte z.B. Personal gespart werden, das sich derzeit um Anträge, Wechselprozesse oder Zählerwechsel kümmern muss. Anstelle potenzieller Kostenreduktionensind steigende Kosten bei der Projektierung Realität, die durch Unsicherheiten und Engpässe entstehen. So treibt Expert:innen auch die Sorge um, dass der steigende Bedarf für Einspeisemanagement und Abregelung im Verteilnetz zusammen mit den nötigen Investitionen die Netzentgelte spürbar steigen lassen wird – bis zu einer Verdopplung auf 20 Cent/kWh (vgl. Exkurs).
- Sorge vor politischer und gesellschaftlicher Resignation: Stillstehende Windräder, nicht-einspeisende Solaranlagen und steigende Verbraucherkosten können sich negativ auf die gesellschaftliche und politische Grundstimmung zur Energiewende auswirken. Hohe Kosten, die durch Netzengpässe entstehen, können populistisch gegen den PV-Zubau gewendet werden und Stimmung gegen die Energiewende anheizen. 2024 zieht dieses Narrativ bereits massiv an.
- Sorge vor Zielverfehlungen: Letztlich kann die Folgevon ungelösten Netzengpassproblemen sein, dass die gesetzlich anvisierten Zubauziele verfehlt werden. In bestimmten Regionen könnte der Ausbau gänzlich zum Erliegen kommen und das schon im Laufe der kommenden Jahre. Es handelt sich in der Wahrnehmung vieler Marktakteure dabei nicht um Probleme der fernen Zukunft, sondern als Problem ist bereits in der aktuellen Legislaturperiode relevant und besteht schon seit Jahren.
Exkurs: Kosten für PV-Abregelungen steigen dramatisch Wenn die Netze voll sind, können einspeisende Anlagen im Sinne der Systembilanz abgeregelt werden. Betreiber von betroffenen Anlagen werden für diese Maßnahmen vergütet. Redispatch-Maßnahmen sind prinzipiell für das Gesamtsystem weiterhin sinnvoll und wünschenswert, sollten aber maßvoll sein. Die Kosten hierfür werden auf die Verbraucher:innen umgelegt. Solange dies in geringem Maße geschieht, fallen die Kosten für diese Aufgabe des Netzmanagements kaum ins Gewicht. Anders als früher steigen diese Belastungen jedoch nun Jahr für Jahr signifikant an. Im Jahr 2022 beliefen sich die Gesamtkosten für das Engpassmanagement bereits auf 4,2 Milliarden Euro. Das sind etwa 20-mal so hohe Kosten, wie noch vor 10 Jahren.[13] Dabei gilt es zu beachten, dass in der letzten Dekade ein bedeutender Ausbau der Erneuerbaren erfolgt ist und der Prozess anders verteilt wurde (z.B. Einspeisemanagement wurde in Redispatch integriert). Es wird aber davon ausgegangen, dass dieser ansteigende Trend im aktuellen System sich weiter fortsetzen wird. Abregelungen, konkret der Redispatch, waren bislang noch stark Wind-getrieben. Im PV-Bereich geht der Trend jedoch dramatisch nach oben. Bereits im ersten Quartal 2023 lag die Abregelung von PV-Anlagen bei rund 2 Prozent[14] – und das in einer strahlungsarmen Zeit, in der die Sonne wenig scheint. Werte für das restlichen Jahr 2023 sind noch nicht veröffentlicht. Dieses Schlaglicht zeigt aber: Sogar im Winter führen Engpässe dazu, dass jede 50. erzeugte Kilowattstunde PV-Strom gar nicht eingespeist – jedoch vergütet wird. Das größte PV-Volumen wird derzeit in Bayern gedrosselt, gefolgt von Brandenburg. Marktbeobachtungen zeigen, dass 2023 Abregelungen von laufenden PV-Anlagen signifikant zugenommen haben. Punktuell registrieren Betreiber einen Anstieg um rund 10 Prozent. Dabei wird nicht immer zwischen neuen und alten Anlagen, die teilweise noch hohe Vergütungen erhalten, differenziert. Problematisch erscheint zudem, dass das Hoch- und Runterfahren der Einspeisung von PV-Anlagen durch die Netzbetreiber teilweise händisch erfolgt und es hier zu Fehlern kommt, die wiederum manuelle Abrechnungskorrekturen verursachen. Entschädigungen werden mitunter mit extremer Zeitverzögerung beglichen. Sogar von Fällen versehentlich nicht wieder eingeschalteter Anlagen wird berichtet. Neben den entstehenden Aufwänden und Unsicherheiten bei den Betreibern wird dies vor allem die Kosten weiter steigen lassen und Ressourcen seitens der Netzer und der PV-Betreiber binden. In Anbetracht im Jahr 2024 weiter steigender Netzentgelte und der Prognose sich zuspitzender Engpasssituationen sind die Entwicklungen bei PV-Abregelungen alarmierend und unterstreichen den dringenden Bedarf, eine gemeinschaftliche Reformoffensive zu starten. |
Der beschriebene Exkurs zur PV-Abregelung sollte beispielhaft für sichtbarwerdende und teure Ineffizienzen stehen. Auch bei den Netzanschluss- und Netztransparenzthemenbestehen ähnlicheIneffizienzen, nur sind sie weniger sichtbar. Die in diesem Papier vorgestellte Reformoffensive ist der Versuch, ein effizientes System für den Anschluss mehrerer hundert Gigawatt Photovoltaik in den Verteilungsnetzen zu finden. Diese Aufgabe steht allen Beteiligten jetzt bevor.
III. Vorschläge für eine gemeinsame Reformoffensive
Der PV-Zubau braucht Netze. Weil die Engpässe immer offenbarer werden, rückt das Thema 2024 mit Wucht auf die politische Agenda. Es braucht mehr übergreifendes Denken von Akteuren dezentraler Erzeugung und „Netzern“. Nötig ist daher eine Netz-Reformoffensive, die sowohl die Perspektive der Netzbetreiber als auch die Perspektive der PV-Betreiber berücksichtigt. Kooperation und Kollaboration kann Ineffizienzen überwinden, Lagerdenken jedoch nicht.
Diese Reformoffensive muss umfassend sein. Die in manchen Kreisen verbreitete „Die werden das schon hinbekommen“-Mentalität muss dafür überwunden werden. Denn das Problem ist tiefer, es braucht Veränderung. Dem exponentiellen Wachstumstrend im Bereich der Photovoltaik steht bislang ein nachlaufender, linearer oder stufenweiser Ansatz der Regulierung entgegen. Dieses Muster gilt es zu durchbrechen. Generell hilft dabei alles, was Verfahren vereinfacht und begrenzte Kapazitäten zielgerichteter einsetzt. Zu unterscheiden ist dabei nach schnellen, kurzfristigen Lösungen und großen, mittelfristigen Ansätzen, die heute schon begonnen werden müssen. Priorisierungen sind wichtig, aber es braucht dabei nicht entweder oder, sondern alles parallel.
Eine Reformoffensive und ein klarer Plan für die Vitalisierung des Verteilungsnetzes, um den PV-Zubau aufnehmen zu können, müssen ab sofort weiterentwickelt und sukzessive beschlossen und umgesetzt werden. Noch in dieser Legislaturperiode braucht es dafür tiefgreifende Maßnahmen, die spätestens Mitte der 2020er greifen müssen.
1. Lagerdenken-Überwindungs-Offensive
Die PV- und die Netzwelt sind derzeit viel zu wenig miteinander verzahnt. Diese traditionelle Trennung beider Akteurswelten rührt aus der Zeit des konventionellen Energiesystems, des Unbundlings und den Anfängen der Energiewende. Dies wird heute vielfältig sichtbar. Teilweise sind Dialogrunden und Konferenzen zu Netzfragen noch sehr netzbetreiberlastig und die Betreiberperspektiven wenig vertreten. Forschungskonsortien zu Netzfragen binden die Expertise und Belange der Erneuerbaren Energien noch nicht ausreichend ein. Betreiberthemen und Aspekte der Finanzierung von Erneuerbaren Energien-Anlagen inklusive ihrer Netzanschlüsse stehen bei Netzfragen oft zu wenig im Blick. Zugleich haben die PV-Betreiber oftmals zu wenig Verständnis für die Herausforderungen und historisch gewachsenen Strukturen der „Netzer“.
Diese Aufspaltung in „zwei Lager“ wirkt sich kontraproduktiv aus. Hier gilt es Brücken zu schlagen, die Perspektiven zusammenzubringen und Lagerdenken zu überwinden. Denn die Lösung der energiesystemischen Aufgaben sind im Kern eine gemeinsame Mission. Hier braucht es Innovation und Expertise aus allen Richtungen.
Es geht auch um Verständnis: VNB haben immense Herausforderungen, den Strukturwandel bei gleichzeitigem Personalmangel zu meistern. PV-Betreiber brauchen hingegen klare und schnelle Entscheidungen für ihre Projekte, haben aber keinen Auftrag, Versorgungssicherheit der Allgemeinheit zu gewährleisten. Neues Denken wird auf beiden Seiten erforderlich. Wenn Millionen neuer dezentraler Energieeinheiten ans Netz angeschlossen werden müssen und mehrere hundert Gigawatt Photovoltaik in die Verteilungsnetze kommen, müssen VNB auch vermehrt aus der Verwalterrolle in die Rolle der Dienstleister wachsen. PV-Projektierern muss zugleich bewusst sein, dass die VNB nicht ausreichend auf die neuen Aufgaben vorbreitet worden sind, immer neuere und kompliziertere gesetzliche und teilweise fachfremde Aufgaben übertragen bekommen und unter erheblichen Kapazitätsengpässen stehen. Es braucht neben Fokussierung auf das Wesentliche mehr Kooperation und eine andere Kultur des Miteinander, aber auch viele praktische Dinge, wie z.B. Kollaborationsplattformen bei Netzanfrageprozessen, um die heute viel zu oft manuellen Prozesse abzulösen. Kollaboration ermöglicht gemeinsame Datenverwaltung und vermeidet Fehlerklärungsprozesse. Idealerweise entsteht so eine Basis für eine gemeinsame entwickelte und von allen Akteuren getragene PV-Netz-Offensive.
Es braucht zudem mehr gegenseitige Einbindung in die Gremien und Behörden. Beispielhaft sei hier folgendes erwähnt: Die BNetzA übernimmt immer größere Verantwortung für die Steuerung des gesamten Energiesystems. Sie hat mit ihrer traditionellen Nähe zu Netzbetreibern jedoch noch immer einen Blick, der die Belange der Betreiber und Verbraucher häufig übersieht. Allein der Name der Agentur unterstreicht diesen Fokus. Hier braucht es eine Öffnung von Konsultationsprozessen und den Aufbau von mehr Interaktion der Akteure der dezentralen Energiewelt. Aber auch eine Debatte, ob eine Umbenennung und Neuausrichtung der BundesNETZAgentur als BundesENERGIEAgentur der Sache dienen würde, wäre wünschenswert.
Ein anderes Beispiel ist das Forum Netztechnik/Netzbetrieb (FFN) im Verband der Elektrotechnik Elektronik und Informationstechnik e.V. (VDE). Als Nachfolger des Verbandes der Netzbetreiber regelt es etwa die Inhalte der Technischen Anschlussregeln für den Netzanschluss auf allen Spannungsebenen (TAR), deren Zweck es u.a. ist, die sichere Netzintegration Erneuerbarer Energien zu regeln. PV-Betreiber sitzen mit ihrer Expertise dort aber nicht mit am Verhandlungstisch. Das birgt die Gefahr, dass die Voraussetzung für den sicheren Betrieb der Stromnetze zwar gewährleistet wird, nicht immer aber die Praktikabilität im Sinne des gesetzlich anvisierten Hochlaufs der PV. Ein besserer, frühzeitiger Austausch und eine Öffnung der Gremien würden hier helfen, Dazu gibt es auch eine Pflicht: Über §49 EnWG hat der VDE und damit auch der FNN nur Legimitation, wenn die TAR allgemein anerkannt sind. Damit müsste der FNN eigentlich sicherzustellen, dass alle Vertreter bei der Ausformulierung der TAR am Tisch sitzen. Dem wird bisher nicht nachgekommen. Auch gibt es keine ausreichende Transparenz, wer dort genau die Entscheider sind. Auch hilft es nicht, die Debatte zur Vereinheitlichung und Verbesserung der TAR in einzelnen Verbänden zu führen. Zusammenarbeit und ein offener, neutraler und fachlich nicht nur durch Netzbetreiber geprägter Arbeitsraum ist nötig. Aber auch die Verbände der Erneuerbaren Energien sind gefordert, mehr auf die Netzwelt zuzugehen und sich proaktiv einzubringen.
2. Digitalisierungs-Offensive
Das Management vieler Netzfragen ist veraltet. Analoge Prozesse dominieren allerorts: Die weitgehend fehlende Netztransparenz und der verzögerte Rollout von Smart Metern in Deutschland steht sinnbildlich dafür. Aber auch bei Netzplanung, ‑bau und ‑betrieb sind Datengrundlagen oft fragmentarisch und die Methoden veraltet. Die netztechnische und prozessuale Digitalisierung ist insgesamt rudimentär, was die Erfassung der Netzzustände, Rückkopplung mit Netzplanungsdaten oder Lastflussrechnungen betrifft. Netzanfragen über Self-Service-Portale und Netzanmeldungen über Einspeiseportale sind zwar bei größeren VNB möglich, bieten aber keine Investitionsgrundlage für Anlagenbetreiber. Bei kleinen VNB läuft dies oft noch per Formblatt. Neben Eingangsbestätigungen sind dann auch Folgeschritte meist manuell durchzuführen, was zu Verzögerungen und hohen Fehlerquoten führt.[15] Manuelle Prozesse sind zudem nicht skalierungsfähig.
Digitalisierung, Automatisierung und KI-basierte Systeme setzen zugleich entsprechendes Fachpersonal voraus. Der „klassische Netzer“ ist oft durch starre Vorgaben und Formblätter limitiert und wird daher als wenig affin für Digitalisierung, Automatisierung und neue Regeln wahrgenommen. Zugleich wird durch die Überlastung des Personals mit eigentlich automatisierbaren Aufgaben zu wenig in die Digitalisierung von Netzplanung, Betrieb und Prozessen investiert. Der Mangel von Fachpersonal führt dazu, dass die Umsetzung von Digitalisierung und Automatisierung seitens der VNB aus eigener Kraft schwer vorstellbar erscheint.
Insgesamt bedroht der mehrjährige Rückstand bei der Digitalisierung von Netzplanung und ‑betrieb einen reibungslosen Hochlauf der PV. Was es braucht, ist eine Digitalisierungsoffensive, die einen neuen Trend einleitet.
Der gesamte Netzanschlussprozess sollte aus Sicht der Branche mittelfristig vereinheitlicht und digitalisiert werden — von einer automatisierten und qualifizierten Netzanschlussauskunft, über Kollaborationsportale zur Netzanschlussberechnung, mit digitalisierten Netzanschlussbegehren und bis zur Inbetriebsetzung einschließlich der Zählersetzung. Die jüngst vom Deutschen Bundestag eingeforderte digitale Lösung von Netzanschlussbegehren für eine „unverbindliche, schnelle und digitale Auskunft über die Lage möglicher Netzverknüpfungspunkte von Verbrauchs- und Erzeugungsanlagen im Verteilnetz“ weist hier in eine gute Richtung.[16] Dabei gibt es einen wichtigen Zusammenhang: Die unverbindliche Netzauskunft gibt keine Planungssicherheit. Jedoch wird der Reservierungsmechanismus umso besser, je besser die unverbindliche Netzauskunft gestaltet wird.
Im Bereich Netzbetrieb braucht es einen schnellen „roll-out“ flächiger Netzzustandsdatenerfassung. VNB müssten verbindlich dazu verpflichtet werden, ihre Netze zügig mit intelligenter Messtechnik auszustatten sowie die Daten digital zu verarbeiten. Dazu folgender Leitgedanke: Im Jahr 2030 kein regulierter Trafo ohne Netzzustandserfassung.
Klar ist auch, dass diese Investitionen ein gezieltes Anreizsystem für VNB voraussetzen (z.B. über einen „OPEX-bezogenen Digitalisierungsbonus“). Wichtig ist hier auch eine Reform der Refinanzierung der Investitionen der VNB, denn solange eine CAPEX-Verzinsung (z.B. für die Investition in Kupfer) attraktiver ist als reduzierte OPEX (Digitalisierung), werden Fehlanreize gesetzt (vgl. Kapitel III.5.).
Bei der Netzplanung braucht es digitale Daten. Dazu sollte eine Veröffentlichungspflicht und Freigabe vorhandener Geodaten zu allen Netzgebieten (BDEW) und Netzausbauplänen (VNB) beispielsweise als „wfs Layer“ erwirkt werden, damit die digitalen Daten auch extern verarbeitet werden können. Dies würde Kollaborationsplattformen ermöglichen, in denen Netzanfragende bestimmte Aufgaben und Berechnungen übernehmen können, die sonst der Netzbetreiber ausführen muss. Auch ist dann die Transparenz zum Prozessfortschritt und eine gemeinsame Datenhaltung möglich. Für eine beschleunigte automatisierte Erfassung und Konsolidierung der Netzstrukturdaten sollten Transparenz- und Informationspflichten für VNB geschaffen werden (kurzfristig mindestens in Form von „Kapazitätskarten“ wie im Mobilfunk oder in einigen Ländern wie UK). Aber auch offensichtliche Probleme in den Planungsprinzipien, wie eine Transparenz zu künftiger Netzkapazität oder ein vorausschauender Netzausbau muss ermöglicht werden. Auch technische Fragen wie z.B. das Spannungsbandproblem[17] zwischen Mittel- und Niederspannung müssen hier angegangen werden. Aufgrund historisch gewachsener Regeln ist in den Verteilnetzen für PV-Einspeisung weniger Platz als für Verbraucher. Neue Planungsgrundsätze und etwas Mut zur Digitalisierung können hier schnell Netzkapazitäten freigeben, die physikalisch vorhanden sind aber ungenutzt bleiben.
3. Standardisierungs-Offensive
PV-Betreiber sind hinsichtlich der Netzfragen mit einem Flickenteppich von Regelungen der fast 900 VNB konfrontiert. Anstelle einheitlicher Standards dominieren Unikate. Für jedes Netzgebiet gibt ist andere Prozesse, Datenabfragen oder Portale. Jeder VNB kann zusätzlich zu allgemeinen Regeln weitere, eigene technische Regeln und Komponentenvorgaben erlassen. Das führt zu einer großen Vielfalt an Bestimmungen, Sonderanforderungen und Sonderanfertigungen von technischen Lösungen. Was im konventionellen Energiesystem mit seinen wenigen, großen Einspeisen nicht weiter problematisch war, wirkt sich bei zigtausenden Anfragen und Projekten zunehmend negativ aus.
VNB können eigene Regeln erlassen. So existieren in der Welt der VNB keine einheitlichen Vorgaben für die Technischen Anschlussbedingungen (TAB). Zwar geben nicht bindende „Bundesmusterwortlaute“ des BDEW Orientierung. Oft sind die TABs gleichwohl nicht vollständig, sondern enthalten „Sprechklauseln“. Die meisten VNB erlassen zudem „spezifische Ergänzungen zu den TAB“. Eine zentrale Datenbank dafür gibt es nicht. Die relativ neue Webseite VNBdigital[18] verlinkt nur auf Netzbetreiberwebseiten. Automatisieren lässt sich so kaum etwas. Jeder große Netzanschluss wird damit zum Unikat.
Die technische Vielfalt macht das Gesamtsystem ineffizient. So können technische Komponenten teils nicht netzgebietsübergreifend von einem Projekt zum anderen übertragen werden. Das macht auch Vorbestellungen schwierig. Auch Fachbetriebe können nicht immer netzgebietsübergreifend eingesetzt werden. Das erhöht seitens der PV-Betreiber den Aufwand für Ausschreibungen und Beschaffung. Zudem führt dies auch zu einer höheren Fehlerquote seitens der Projektentwickler, was wiederum Korrekturschleifen zwischen VNB und Projektentwickler auslöst. Die Vielfalt der technischen Regeln blockiert auch die Produktion dringend benötigter Netzkomponenten der ohnehin überlasteten Fertigungskapazitäten der Hersteller (wenig Serienproduktion).[19]
Es braucht beispielsweise die technische Vereinheitlichung der TAB für standardisierte Netzanschlussbedingungen in ganz Deutschland (vgl.Entwurf §19 EnWG zur TAB-Vereinheitlichung).Der Niederanspannungsanschluss muss einheitlich geregelt werden. Dabei sind sowohl die technischen als auch die prozessualen Themen zu adressieren. Einheitliche Anwendungshilfen für den Netzanschluss müssen erarbeitet werden. Auch Technikvorgaben in der Mittelspannung sollten durch eine Weiterentwicklung der TAR des VDE FNN vereinfacht und langfristig harmonisiert werden.
Zum anderen müssen die Geschäftsprozesse der Netzbetriebe standardisiert werden. Dabei geht es vor allem um „qualifizierte Netzanfragen“ und eine „qualifizierte Netzprüfung“. Diese umfassen standardisierte Angaben, Bezeichnungen und Definitionen für Anfragekorridore, wie beispielsweise die an einem Netzanschluss zur Verfügung stehende Leistungsspanne („Leistung von – bis“), anstatt der Ausgabe von Einzelwerten. Eine bundesweit einheitliche Antwortstruktur soll etabliert werden, ebenso wie die Pflichtangabe von Netzanschluss-Optionen. Diese beinhalten unter anderem die maximal mögliche Leistung am nächstgelegenen Netzverknüpfungspunkt (NVP), die maximale Entfernung bei der angefragten Leistung und alternative NVPs. Zudem wird die Angabe von Geodaten sowie die Verwendung einheitlicher Geodatensätze und ‑attribute empfohlen. Diese Maßnahmen zielen darauf ab, die Effizienz und Transparenz im Netzanschlussprozess zu erhöhen und Mehrfachanfragen mit verschiedenen Leistungsangaben für ein einzelnes Projekt zu vermeiden. Damit spart auch der Netzbetreiber personelle Ressourcen und Geld.
Standardisierung spart langfristig Geld. Sieist Enabler für eine Konsolidierung der Verteilungsnetzbetreiberstrukturen (siehe Kapitel III. 10: VNB-Konsolidierungs-Offensive), denn mit standardisierten Prozessen sind Zusammenfassungen wahrscheinlicher und einfacher.
Es sollen regional einheitliche Kollaborationsplattformen eingeführt werden, die den bisherigen Standard der Kommunikation via E‑Mail oder Formularen ablösen. Damit wird eine einheitliche Datenbewirtschaftung bei Netzbetreibern und Netznutzern angestrebt, um Dopplungen und unterschiedliche Datenstände abzuschaffen, Transparenz im Prozessfortschritt und zur Datenvollständigkeit, sowie eine durchgängig digitale Abwicklung zu gewährleisten.
Es ist eine Herausforderung, in den nächsten Jahrzehnten mehrere hundert Gigawatt Erzeugungsleistung und ebenso mehrere hundert Gigawatt neue Verbraucher, Speicher und Flexibilitäten an hunderttausenden Netzanschlüssen in die Verteilungsnetze zu integrieren.Daherist eine legitime Aufgabe, politisch die Überlegungen für einheitliche Kollaborationsplattformen als ein Zielbild zu formulieren und diese Überlegungen mit den nötigen Entwicklungs- und Umsetzungsprozessen zu hinterlegen.
Nicht zuletzt bedarf es auch einer – so ja auch vorgesehenen – Harmonisierung bei der Netzplanung. Die von den VNB zuletzt vorgelegten Szenarien (vgl. Kapitel III.8.) unterscheiden sich massiv in der Methodik und in den Schlussfolgerungen – ohne dass dieses Vorgehen einen erkennbaren Nutzen bringt. Erstmals (!) werden im Frühjahr 2024 Netzausbaupläne für das Verteilungsnetz veröffentlicht, allerdings nur von verpflichteten Netzbetreibern. Dies deckt zwar flächenmäßig einen Großteil der Landesfläche ab, aber bei kleinen VNB wird weiterhin keine Planungssicherheit bestehen.
Die Integration der Netzausbaupläne mit z.B. Self-Service-Portalen für die Netzauskunft sollte schnell hergestellt werden. Dies ist wünschenswert, die Umsetzung aber, angesichts der dünnen Personaldecke und der ohnehin hohen Auslastung von geeigneten IT-Dienstleistern fraglich. Das knappe Personal ist dauerhaft hoch ausgelastet aufgrund der vielen Änderungen im Energierecht und der Regulierung und der hohen Individualität der TAB bei den Netzbetreibern.
Kurzum: Mangelnde Standardisierung und Kooperationsfähigkeit führen zu geringer Effizienz in einem ohnehin überlasteten System. Um die Trendwende zu schaffen ist eine umfassende Standardisierungsoffensive unausweichlich.
4. Entbürokratisierungs-Offensive
Ein akutes Kapazitätsproblem beim Umbau des gesamten Energiesystems sind die Netzanschlüsse. Neben der PV steigt auch die Anzahl der Anschlüsse für neue Windanlagen, Wärmepumpen oder Wallboxen Jahr für Jahr in Hunderttausender-Schritten an. Nicht nur aus Sicht der PV-Betreiber braucht es hier daher eine Entbürokratisierungs-Offensive. Denn die jetzigen Verfahren führen zu einer Überlastung von ohnehin rar gesäten Spezialisten mit eigentlich standardisierbaren Aufgaben – und das auf Seiten der VNB und der Projektierer. So wie es ist, kann es jedenfalls nicht bleiben.
Netzauskünfte und –anmeldungen erfolgen bislang weitgehend manuell. Im Regelfall erfolgt eine Anfrage über das jeweilige VNB-Portal, dort erhält man eine Eingangsbestätigung und muss mit einer unbestimmten Wartezeit rechnen. Eine telefonische Erreichbarkeit gibt es in der Regel nicht und die Mailkorrespondenz erfolgt anonymisiert. Auf diese Weise „schützen“ die VNB ihre überarbeiteten Fachkräfte – was durchaus verständlich ist. Kommt dann eine Absage, ist diese kaum begründet oder schlägt keine Alternative vor.
Das führt zu „Black-box“-Verfahren, aber es bedeutet auch, dass es kaum Kooperation zur Optimierung der Netzanschlüsse von EE-Anlagen gibt. Die gemeinsame Optimierungsmöglichkeit zum Netzverknüpfungspunkt, der Netzbelastung, der Anlagenauslegungen, der Kopplung mit Windparks und Speichern etc. entfällt, wenn es keinen fachlichen Austausch und oft keine gemeinsame Datenhaltung gibt (z.B. zu Projektunterlagen zu Netzanfragen, zu technischen Daten oder zu aktueller oder künftig verfügbarer Netzkapazität).[20] Unnötige Abstimmungsbedarfe und Fehler an den zahlreichen Schnittstellen sind die Folge.
Eine praktische Lösung ist die verpflichtende Einrichtung von Kollaborationsplattformen z.B. auf Ebene der Planungsregionen des Verteilungsnetzes, auf denen nach und nach Funktionalitäten für professionelle Anwender ergänzt werden. Um einen Überblick zu erhalten, wo Schwächen gegeben sind oder Reibungspunkte abgebaut werden können, sollte auch über die Errichtung einer Transparenz- und Beschwerdestelle zu Netzanschluss-problematiken bei der BNetzA diskutiert werden.
Es geht nicht nur um die Bewältigung der Anzahl der Prozesse, sondern um die passgenaue Priorisierung. Beim Photovoltaik-Ausbau geht es um Gigawatt-Geschwindigkeit, die eine neue Priorisierung erfordert und mit Vereinfachungen bei Kleinanlagen einhergehen muss. Sachbearbeiter bei den VNB sollten nicht damit befasst sein müssen, duzende 10 kW-Anlagen zu prüfen, die sowieso in der Regel alle im Netz angeschlossen werden können und alle ein Smart Meter bekommen werden, mit denen Netzbetreiber später wertvolle Auslastungs- und Betriebsdaten erhalten. So eine Kleinteiligkeit ist nicht effektiv, während die Arbeit an großen Anlagen, die echte Netzrelevanz haben und komplexer einzubinden sind, liegen bleibt. Es geht um die Anzahl der Prozesse bei den VNB. Untergrenzen für bürokratiefreie Lösungen werden hier benötigt, sowie eine Priorisierung in den Prozessen nach Netzebene und Anschlussleitung.
Das Problem ist erkannt und auf der Agenda. Der BDEW hat einen Leitfaden für und mit der Branche für die digitale Abwicklung von Begehren entwickelt.[21] Das BMWK hat in seiner Solarstrategie das strategische Zielbild vorgegeben, wo man hinwill: Die zügige Bearbeitung der Anschlussbegehren werde durch massentaugliche Verfahren sichergestellt. Eine flächendeckende Standardisierung und Digitalisierung sei dann erreicht und Netzanschlussprozesse beschleunigt.[22] Auch die BNetzA sieht den „Stau“ bei der Bearbeitung von Anschlussanfragen.[23] Lösungen seien etwa die unverbindliche digitale Auskunft über Netzanschlüsse und Netzkapazitäten, automatisierter Tools zur Abfrage von Anschlusskapazität, intelligente Reservierungsmechanismen oder die verbindliche, befristete Reservierung von Kapazitäten. Und tatsächlich tut sich derzeit einiges auf diesem Gebiet.
Hier ist es aber wichtig, die Projektentwickler-Perspektive zu betrachten: Die automatisierte, unverbindliche Netzauskunft gibt nur Orientierung, aber keine Planungssicherheit. Netzbetreiber bieten zunehmend Self-Service-Portale an, die automatisiert einen unverbindlichen Netzanschlusspunkt und weitere Informationen (z.B. Entfernung, aktuelle Netzkapazität, …) ausgeben. Das ist positiv und soll nun ausgebaut werden. Auf die erste Grobauskunft in Self-Service-Portalen sollten künftig Zusatzfunktionen zur qualifizierten Netzanschlussprüfungen erfolgen können (z.B. Austausch von Daten und Berechnungen), wofür die Definition von Zielen auch durch den Regulator hilfreich sein kann. Die heute vereinzelt und künftig vermehrt gelieferte unverbindliche Netzauskunft ist hilfreich, kann aber immer nur eine Orientierung geben. Diese Orientierung hilft als Indikator in der Projektentwicklung, ob z.B. Standorte näher geprüft werden sollen, ist aber nicht für eine technische oder finanzielle Optimierung in den Projekten geeignet. Planungs- oder gar Investitionssicherheit bieten unverbindliche Netzauskünfte nicht. Diese können nur qualifizierte Netzanschlussprüfungen und verbindliche Netzreservierungen bieten.
Weil heute oft nur eine unzureichende Vorabinformation zu möglichen Netzanschlüssen gegeben werden kann, werden aktuell zu viele Netzanfragen gestellt und Netzkapazitäten reserviert, auch für Projekte, die letztlich nicht realisiert werden können. Ziel eines verbesserten Netzanfrage- und Reservierungsmechanismus sollte sein, knappe Personalressourcen bei den Netzbetreibern effizienter einzusetzen und möglichst nur die Netzkapazitäten für die Projekte zu reservieren, die auch eine hohe Realisierungswahrscheinlichkeit haben. Dies wird nur gut gelingen, wenn die unverbindlichen Netzauskunft eine hohe Qualität hat (qualifizierte Netzauskunft). Eine qualifizierte Netzauskunft gibt Spannbreiten zu möglichen Anschlussleistungen an und berücksichtigt auch künftig verfügbare Netzkapazität. Auch die gültigen Reservierungen sollen berücksichtigt werden.
5. Anreizregulierungs-Offensive
Die Anreizregulierung (ARegV) ist seit 2009 der eigentliche Motor für die Investition in die Transformation des Netzes. Aber sie setzt heute die falschen Impulse und reicht nicht aus, um die Herausforderungen zielgerichtet zu meisten. Die Regulierungslogik ist für das rechtzeitige Erreichen der Klimaneutralität aktuell nicht geeignet. Schuld daran ist ihre veraltete Funktionsweise, die andere Zwecke verfolgt.
Die Anreizregulierung ist einst als Instrument zur Monopolregulierung geschaffen worden. Über Effizienzvergleiche wird Wettbewerb simuliert.[24] Kapitalkostenintensive Maßnahmen wie der Netzausbau werden dabei bevorteilt. CAPEX wird angereizt, OPEX derzeit aber nicht. In anderen Worten: Die Anreizregulierung belohnt heute Kupfer, aber nicht etwa die ebenso bedeutende Digitalisierung oder eine hohe Prozesseffizienz. Und wirkt sich in der Praxis ebenso aus.
Die BNetzA hat im Januar 2024 wichtige Eckpunkte und 15 Thesen zur Weiterentwicklung des Regulierungsrahmens für die 5. Regulierungsperiode vorgelegt.[25] Auf ein ganzes Jahr Konsultation soll 2025 eine Festlegung erfolgen. In Anbetracht der Relevanz und der Komplexität ist dieser Zeitrahmen angemessen und sollte gleichwohl von VNB (die von der Regulierung direkt betroffen sind) aber auch der Energiebranche (die nicht direkt betroffen ist, aber von guter Regulierung profitiert) genutzt werden. Transparenz im Prozess der Überarbeitung der ARegV und aktive Beteiligungsformate der BNetzA im Jahr 2024 wären überaus hilfreich. Inzwischen sind geeignete Formate technisch einfach umzusetzen (z.B. als Onlinekonferenzen, Webinare zu Zwischenständen, Wort- und Tonbeiträge in relevanten Medien, etc.). Das Thema Anreizregulierung wird nur dann weniger sperrig, wenn man darüber spricht, die Hintergründe erklärt und auch Akteure einbindet, die nur indirekt betroffen sind.
Eine Neuausrichtung der Anreizregulierung auf Netzmodernisierung und ‑erweiterung ist nötig, um das Netz von morgen wirtschaftlich zu machen. Um die anstehenden Herausforderungen meistern zu können, müssen VNB auch Finanzen an die Hand bekommen, um die nötige Infrastruktur aufzubauen.Eine bisher zu wenig berücksichtige Thematik dabei ist, dass nicht alle VNB zudem selben Zugang zu Finanzmitteln haben (z.B. Stadtwerke). Es ist noch nicht überall angekommen, dass das Netz kein sicheres Asset mehr ist, das andere Finanzierungsfragen puffert. Es bestehen große Finanzierungsbedarfe und große Kapitalbedarfe. Auch über die Rollen privaten Investitionen in Verteilungsnetzinfrastruktur sollte diskutiert werden. Heute entstehen nicht nur in sehr großen Umfang Anschlussleitungen von Erneuerbare Energien-Anlagen, sondern auch zugehörige Umspannwerke, moderne Schaltfelder, Kompaktstationen, Kompensationseinheiten und mit den Großbatterien auch eine kurzfristig in Gigawattbereich nutzbare neue Technologie, die technisch in der Lade ist, Druck aus der Verteilungsnetzausbaugeschwindigkeit oder der Frage nach Systemstabilität zu nehmen.[26]
Die derzeitige Regulierung gerade für die Netzbetreiber im sogenannten „vereinfachten Verfahren“ gilt als zu komplex. Netzbetreiber im „vereinfachten Verfahren“ haben zudem auch wegen dieses Verfahrens keine stimmigen Anreize (und zu wenig Personal, keine Ressourcen, die Prozesse und Aufgaben und neuen Regelung umzusetzen). Das Regulierungsverfahren funktioniert offensichtlich nicht in allen Bereichen und ist in den Bereichen, in denen Netzbetreibern tatsächlich im Effizienzvergleich stehen, zu träge.
Es stellen sich viele Fragen: Sollte die Anreizlogik für Netzmaßnahmen insgesamt angepasst werden? Was hat ein Netzbetreiber vom Netzanschluss & Netzausbau? Wie sichert man, dass nicht nur Kupfer, sondern auch Prozessqualität sich lohnt? Wie kann die Qualitätskomponente in der Regulierung verbessert werden, sodass schnelle Genehmigungs- und Netzanschlussprozesse honoriert werden – für alle VNB? Wie wird die Anrechenbarkeit von Zusatzinvestitionen außerhalb des Basisjahres gewertet? Wie werden Zusatzmaßnahmen z.B. bei der Digitalisierung der Prozesse honoriert? Wie sichert man überhaupt Prozessqualität (z.B. Bürokratiearmut, Kollaboration)? Wie kommen gute Lösungen in die Fläche, wenn jeder VNB für sich kostenseitig reguliert ist? Wie geht man mit den VNB um, die in der bisherigen Regulierungslogik offensichtlich nicht die für Klimaneutralität nötige Geschwindigkeit beim Netzausbau und der Prozessintegration erreichen können? Welche Aufgaben können wie „nach oben“ abgegeben werden und was haben die jeweils Beteiligten davon? Sind neue Grundlagen für Kostenbenchmark nötig, z.B. zu realisierbare Einspeiseleistung oder zu Prozessgeschwindigkeit? Wie wird Netztransparenz und Kollaboration mit Netzanschlusspetenten in der Regulierung honoriert? Es stellen sich noch viele weitere Fragen – und diese brauchen den oben genannten offenen und transparenten Beteiligungsprozess.
Netzbetreiber sollten jedoch auf keinen Fall einen Freifahrtschein erhalten und müssen weiterhin zur Effizienz angehalten sein. Da heute Entscheidungen jeweils nur für die aktuelle Regulierungsperiode (fünf Jahre) gelten, ist mehr auch Dynamik nötig. Neben eine Veränderung der Regulierungsperiodenlänge könnte die jeweils nächste Regulierungsperiode einschließen (bzgl. Investitionsbudgets).
Somit entstehen trotz der staatlichen Entscheidung zum Netzausbau mittelfristige Risiken, in welchem Umfang und zu welcher Verzinsung die Kosten der entsprechenden Trassen anerkannt werden. Die heutige Logik der ARegV ist einer der Faktoren, die erklären, warum Netzbetreiber in Deutschland wie im Rest von Europa trotz der anscheinend sicheren Anlagemöglichkeiten in staatlich garantierte Infrastruktur für jeden Euro Eigenkapital nur rund zwei Euro Darlehen aufnehmen.[27] Das erhöht einerseits die Finanzierungskosten und bedeutet andererseits, dass Eigenkapitalerhöhungen notwendig sind, um den Netzausbau zu finanzieren.
Die angedachte Verkürzung der Regulierungsperiode ist einerseits gut und bietet mehr Anpassungspotenziale – gleichwohl bedeutet das auch Aufwand. Neben Prozesseffizienz innerhalb der Regulierung ist auch ein Kommittent für ein moderneres, agileres und gleichzeitig verlässlich/stabiles Regime entscheidend. Das von der BNetzA im Januar 2024 vorgelegte Eckpunktepapier und die eingeleitete Konsultation sind dahingehend zu begrüßen, denn es braucht Veränderung.
6. Flexibilitäts-Offensive
Im konventionellen Energiesystem leistete das Netz neben der gesteuerten Erzeugung den wesentlichen Beitrag, um großflächig die variierende Nachfrage zu bedienen. Erzeugung und Netz mit Flexibilität gleichzusetzen, entspricht dieser konventionellen Sichtweise und führt zu klassischen Reflexen, wie sie in der Diskussion um die „planerische Kappung von Wind und PV“ deutlich wird. So könnten zukünftig Engpässe durch eine pauschale Begrenzung der Einspeisung von PV-Anlagen ab 1 MW auf 70 % vorgenommen werden.[28]
Jedoch reicht die Kombination aus gestreuter Erzeugung und der räumlichen Netzflexibilität im erneuerbaren Energiesystem nicht mehr aus. Umso wichtiger erscheint es, die Potenziale neuer Technologien (insb. Speichern) sowie verbrauchsseitige Flexibilitäten zu heben.[29] Studien rechnen vor, wie der Netzausbau mittels Speicher, dynamischen Tarifen und flexiblen Verbrauchern entlastet, Milliarden gespart und schnell bessere Netzkapazitäten erreicht werden können.[30]
Nachdem in Forschung und Markt schon lange ein Hochlauf der dezentralen Flexibilität gefordert wurde, kommen Regelungsvorschläge zunehmend auf die Agenda der Politik.[31] Es tut sich was. Auch im Rahmen der „Plattform Klimaneutrales Stromsystem“ spielten nachfrageseitige Flexibilitäten, Speicher, dynamische Tarife und lokale Preissignale eine große Rolle.
Zudem braucht es mehr Regionalisierung im Strommarkt. Gezielte Investitionsanreize für Projektentwickler in Engpassregionen oder die Schaffung zusätzlicher Erlösmodelle für Netzdienlichkeit können helfen, Engpasssituation präventiv zu entschärfen. Dazu gehört auch Erzeugung und Verbrauch lokal und regional besser zu verknüpfen und vor Ort zu puffern. Mit sowohl auf Erzeugungs- als auch auf Verbrauchsseite absehbar hinzukommenden Anschlussleistungen im jeweils deutlich dreistelligen Gigawattbereich ist es schlicht und einfach notwendig, ein lokales Matching von Erzeugung und Verbrauch im Verteilungsnetz zügig zu realisieren und in der Netzebene des Verteilungsnetzes Speicherkapazitäten und Flexibilitäten in einer adäquaten Leistung und Kapazität aufzubauen.
Es gilt hierbei auch lokale Preise mit der Physik zusammenbringen. So kann durch eine netzdienliche Verknüpfung von Erzeugung und Verbrauch eine deutliche Entlastung erreicht werden: Ein Netz mit etalierter Vor-Ort-Versorgung verträgt etwa 15 bis 30 % mehr EE-Kapazität.[32] Eine verbesserte Vor-Ort-Flexibilität braucht daher lokale Preissignale, die es zu etablieren gilt.
7. Datentransparenz-Offensive
Der mangelnde Digitalisierungsgrad in den Verteilnetzen ist in vielen Bereichen problematisch. Heute wird das Netz weitestgehend „blind” betrieben. Faustregeln und Erfahrungswerte sind eher der Maßstab für das Netzmanagement als robustes Echtzeitwissen.[33] Marktakteure beklagen in diesem Zusammenhang, dass zwar bei VNB Netzstrukturdaten der eigenen Betriebsmittel vorlägen, aber nur lückenhafte Strukturdaten zu Einspeisern und Flexibilitäten, sowie zum Betrieb und der Auslastung von Betriebsmitteln in der Fläche.
Problematisch ist dies nicht nur für die VNB selbst. Sondern es fehlt auch den weiteren Marktakteuren an Transparenz über die jeweilige Netzsituation.[34] Für Planer und Projektentwickler von PV-Anlagen fehlt somit das Wissen über die verfügbaren Kapazitäten in Netzgebieten – bezogen auf die gegenwärtige Situation und erst recht auch simuliert für die zukünftigen Jahre, die für die Planungszyklen ebenso entscheidend sein können. Das behindert eine zielgerichtete Allokation neuer Erzeugungskapazitäten aber auch die Einbindung von Flexibilitäten. Es führt auch zum praktischen Problem, dass man in der PV-Projektentwicklung nur durch zahlreiche Netzanfragen herausfindet, was man in bestimmten Regionen netzseitig projektieren kann. Auch die mangelnde Datentransparenz und die fehlende Vorab-Transparenz („wie viel Anschlussleistung gibt es künftig, wenn Netzausbau erfolgt“) führt zu überlasteten Netzreservierungsmechanismen.
Netztransparenz ist nicht das Problem, sondern eine Grundvoraussetzung für bessere Prozesse, z.B. für Kollaboration zwischen Netzbetreibern, Anschlusspetenten und Netznutzern. Damit Betreiber flexibler auf die Netzsituation reagieren können, ohne dabei die Infrastruktur zu überlasten, braucht es klare Regeln und transparente Informationen. Wie das im Detail umgesetzt werden kann, sollte in einer Datentransparenz-Offensive erarbeitet und auf den Weg gebracht werden.
8. Kupfer-Offensive
Völlig unbestritten ist: Netzengpässe können und müssen auch im Verteilnetz überwunden werden, indem die Netze ausgebaut werden. Zugleich wirkt das lange bespielte Mantra, Netze seien die günstigste und daher zu fokussierende Flexibilitätsoption, heute aus der Zeit gefallen. Kupfer ist nur eine Lösung in einem Konzert an vielen, nötigen Maßnahmen.
Und es ist eine, die sehr viel Zeit braucht. „Größere Netzausbauprojekte dauern auch im Verteilnetz in der Regel deutlich länger als der Bau der EE-Anlage“, so die BNetzA.[35] Der Netzausbau müsse daher bereits begonnen werden, bevor die Anlagen errichtet werden, was in der heutigen Regulierungslogik durchaus möglich ist (vorausschauender Netzausbau)[36]. Aktuell betreiben die VNB Netze mit einer Länge von 2.195.600 km.[37] Die BNetzA prognostiziert einen Gesamtbedarf von zehntausenden neuen Kilometern Kupfer und über 42 Mrd. EUR an Investitionen in die Netze. Die bereits geplanten Ausbauvorhaben sind immens und leider auch die bislang registrierten Verzögerungen bei der Umsetzung.
Das Problem sind jedoch weniger die aktuellen Baustellen, sondern, dass die Entwicklung in der PV – entlang der gesetzlichen vorgesehenen Ausbaupfade – dem Netzausbau bereits längst enteilt ist. Marktbeobachter:innen schätzen konservativ, dass der Ausbau der Erneuerbaren insbesondere in Flächenländern den notwendigen Anpassungen im Verteilnetz um fünf bis zehn Jahre voraus ist. Und während beispielsweise die Entwicklung und der Bau von Solarparks ein bis drei Jahre dauert, sind es für die Errichtung neuer Verteilnetze je nach Ebene fünf bis 12 Jahre.
Umso dringlicher ist eine vorausschauenden Netzausbauplanung, die die Wachstumsszenarien regional aufgeschlüsselt antizipiert – und auch effizienter als heute bei den Fortschritten kontrolliert wird. Entsprechend spät dran sind die dahingehenden Prozesse, nachdem das Thema jahrelang (teilweise politisch motiviert) verdrängt oder mittels falscher Bedarfsprognosen fehlgeleitet wurde.
Im Jahr 2023 haben die Verteilnetzbetreiber daher erstmals Regionalszenarien für den Verteilungsnetzausbau vorgelegt.[38] Bis Ende April 2024 müssen sie darauf basierend Verteilungsnetzausbaupläne vorlegen (vgl. § 14d EnWG). Dies soll eine kohärente auf jetzige Ausbauziele der Erneuerbaren und Lasten abgestimmte Planung der Verteilnetze ermöglichen. Die vorgelegten Szenarien gehen teilweise in die richtige Richtung, orientieren sich aber überwiegend den mittlerne Szenarien für die Netzentwicklung im Übertragungsnetz. Zudem weichen Ausbauzahlen und die Methodik stark voneinander ab. Regionalszenarien sind ein nötiger Schritt, aber weit davon entfernt, mit der reellen Marktentwicklung auf Augenhöhe zu sein. Die PV-Branche hofft auf die Vorlage von ambitionierten Verteilungsnetzausbauplänen (abrufbar ab Ende April 2024, hier: https://www.vnbdigital.de), ist sich aber auch zunehmend der Realität bewusst, dass der Ambitionsgrad begrenzt sein wird, wenn sich zugrundeliegende Regionalszenarien nur eine mittlere Ambition aufweisen (Regionalszenarien: hauptsächlich erfolgt Anlegung an die B‑Szenarien des Szenariorahmens 2023–2037/2045).
Die Lücke zwischen EE-Erzeugung und Netzkapazität wird damit absehbar immer größer werden. Die Erreichbarkeit einer Steigerung der PV-Leistung um 250 Prozent bis 2030 in der heutigen Planungs- und Umsetzungslogik der Verteilnetze ist somit mehr als fraglich. So wichtig die Kupfer-Offensive mittelfristig ist, sie kann – anders als lange suggeriert – nur noch eine Facette eines ganzen Straußes an nötigen Maßnahmen sein.
Und zugleich muss auch darüber gesprochen werden, wie der Netzausbau günstiger gemacht werden kann (Stichwort: Erdkabel vs. Freileitung) oder wie die Investitionen vermehrt anders finanziert werden können als über Verbraucherentgelte. Denn wenn Investitionen sich wie angedacht verdreifachen müssen, würden Netzentgelte für Abnehmer im aktuellen System deutlich steigen. Der Weg Richtung 20 ct/kWh für Haushaltskunden wäre leider vorgezeichnet. So hohe Zahlen wären in einem Wirtschaftsstandort aber auch gesellschaftlich schwer zu rechtfertigen für Netzausbau und Ertüchtigung. Hier braucht es schnell Lösungen.
9. Netzauslastungs-Offensive
Bisher funktioniert die Netzbewirtschaftung noch weitgehend nach den Prinzipien des konventionellen Energiesystems und dem „Ideal der Kupferplatte“. D.h. jede Kilowattstunde sollte jederzeit von A nach B transportiert werden können. Engpässe waren in dieser Betrachtungsweise nicht vorgesehen. Vielmehr waren immer ausreichende Puffer-Kapazitäten bereitzuhalten. Neben dem Gürtel sorgten auch die Hosenträger für ausreichende Versorgungssicherheit über auskömmliche Netzstrukturen. Netzengpässe werden jedoch zum Strukturmerkmal des dezentralen Energiesystems.[39] Und sie behindern den gewollten Hochlauf der PV.
Insofern müssen die bestehenden Netzstrukturen daher besser ausgelastet werden. Dazu gehört z.B. die Frage, wann schalten wir Lasten ab und, wann schalten wir Lasten an in Zeiten, in denen das Netz ansonsten über- oder unterlastet wäre. Aber auch eine bessere Auslastung der Netze selbst. Hierfür gibt es verschiedene Maßnahmen, auf die man sich verständigen muss.
Dazu gehört, dass die Netzplanung zukünftig nicht mehr an der (selten eintretenden) maximalen Last ausgerichtet werden sollte. Neue Regeln zur gezielt höheren Auslastung von Kapazitäten und Auflösung von Puffern sollten die aktuell dominierende „investitionsschonende“ Fahrweise ablösen. Die im Zuge der Energiekrise für ÜNB ermöglichte und gerade erst verlängerte Option zur höheren Auslastung geht da in eine richtige Richtung, zumal mit moderner Sensorik auch technisch neue Möglichkeiten gegeben sind. Eine zeitweise, bewusste Überlastung von Betriebsmitteln sollte trotz erhöhter Alterung immer dann in Kauf genommen werden, wenn sie anderswo wertvolle Vorteile schafft.
Zudem braucht es einen systematischen Einsatz innovativer Betriebsmittel, etwa mittels adaptiver Netztopologien, der Anpassung von Stufenstellern, einer dynamischen Sollwertregelung, regelbaren Ortsnetztrafos, der kaskadierten Steuerungs- und Regelungsinstanzen oder hoch auslastbarer Betriebsmittel. Dies geht einher mit der Auflösung des heute nach wie vor bestehenden Problems, dass die Spannungen zwischen Mittel- und Niederspannung aus historischen Gründen starr gekoppelt sind. Eine Spannungsanhebung durch PV-Einspeisung in der Mittelspannung limitiert daher die Aufnahmefähigkeit für PV in der Niederspannung – und andersherum.[40] Das Spannungsbandproblem ist gut verstanden. Lösungen für dieses Problem gibt es.[41] Das aktive Spannungsmanagement in der Regulierung zum Standard werden zu lassen und auch den Nutzen von Flexibilitäten auf Speicher- und Verbrauchsseite zu aktivieren ist eine Aufgabe der 2020er.
Die Schaffung von Transparenzpflichten für VNB kann ferner helfen, also die Erfassung von Netzzustandsdaten und die Übertragung des „NOVA-Prinzip“ (Netzoptimierung vor Ausbau) aus der Höchstspannung auf die Netzebenen der VNB. Es sollte zudem im Sinne der Kostendämpfung der Abregelungen zumindest geprüft werden, ob das Alter der PV-Anlage bei einer Abregelung mitentscheiden sollte, denn viele ältere Anlagen erhalten auch eine höhere Vergütung, die entsprechend kompensiert werden muss. So sollte ggf. nicht nur die „wirkungsvollste“ Anlage abgeschaltet werden können, sondern als Zusatzkriterium auch die “günstigste”.
10. VNB-Konsolidierungs-Offensive
PV-Betreiber, die einen Netzanschluss für ihre PV-Anlage brauchen, sind in der Regel auf den lokal ansässigen Verteilnetzbetreiber angewiesen. Welcher VNB im konkreten Fall ja nach Standort zuständig ist, erfährt man etwa auf dem Netzportal der Verteilnetzbetreiber.[42] Fast 900 verschiede Treffermöglichkeiten ergeben sich dort. Aktuell sind bei der Bundesnetzagentur 888 VNB registriert.[43] Ein Zustand, der Teil der Herausforderung ist.
Die Vielfalt der VNB ist immens. Dies reicht von sehr unterschiedlichen Trägerschaften und Entscheidungswegen bis hin zu den Finanzierungsmöglichkeiten. So zählen zu den VNB sowohl börsennotierte Holdings, aber auch integrierte Stadtwerke mit Netzbetrieb in kommunaler Hand oder Querverbünde. Zudem unterscheidet sich die Größe: Während fast ein Drittel der Netzbetriebe nur über eine Netzlänge von unter 250 km verfügen, sind andere für Netze mit einer Läge von bis zu 8.000 km zuständig. Und die Anzahl der Marktallokationen reicht von wenigen Hundert bis zu Hundertausenden pro Jahr. Kurzum: Es liegt ein Faktor 1000 zwischen kleinen und großen VNB (vgl. Abbildung 2).
Die Herausforderungen können sich je nach VNB regional daher sehr unterscheiden. Wo große VNB viel fachliches Know-how haben, fehlt es bei kleinen oft. Und auch Personalengpässe und fehlender Nachwuchs bei Fachkräften wirkt sich Netzbetreibern unterschiedlich dramatisch aus. Ob es für die PV besser oder schlechter läuft, ist dahingehend heute oft auch räumlich-strukturelle Glückssache. Im Kern müssen sie jedoch gegenüber den Belangen der PV-Betreiber oder in Bezug auf die Transformation des Energiesystems die gleichen Aufgaben erfüllen.
Es liegt auf der Hand, dass eine flächendeckende Beschleunigung von Netzplanung und Netzausbau sowie eine volkswirtschaftliche Optimierung der engen Kapazitäten gemeinsam mit Anschlussnehmern nur möglich sei wird, wenn die strukturellen Probleme der VNB-Landschaft gelöst werden. Im Ausland schaut man durchaus mit Verwunderung auf diese deutsche VNB-Struktur. Und hinter den Kulissen hört man auch aus den zuständigen Behörden und Ministerien das Eingeständnis, dass diese Struktur kaum zukunftsfähig ist. Zugleich ist eine Reform alles andere als einfach, denn viele VNB sind mit den kommunalen Strukturen personell und finanziell eng verwoben, nicht selten besetzen ehemalige aber noch einflussreiche Politiker:innen VNB-Leitungsfunktionen. Eine Lösung könnten “Data-Hubs” nach dem schwedischen Modell sein, d.h. wenn ein VNB eine bestimmte Maßnahme nicht leisten kann, muss diese Aufgabe an einen zentralen Dienstleister abgeben werden. Die Komplexitätsreduktion für einzelne führt so zu Verbesserungen für das Gesamtsystem.
Ohne hier beherzt in die Offensive zu gehen, wird es gleichwohl schwierig werden mit der Transformation. Experten schlagen beispielsweise in einem Debattenpapier eine Konsolidierung auf ca. drei duzend Netzbetriebe vor.[45] Dabei geht es nicht zwingend um eigentumsrechtliche Fusion, wohl aber um eine organisatorische Zusammenlegung der Aufgaben. Zudem sollten die kaufmännische und technische Betriebsführung schnellstmöglich harmonisiert und die Schnittstellenfähigkeit der eingesetzten Software zur Bedingung für die Kostenanerkennung werden.[46] Entscheidendes Kriterium ist dabei, dass die Leistungsfähigkeit am Ende gewährleistet werden kann. Jeder VNB sollte einen bestimmten Mindeststandard vorweisen können, ansonsten wären Aufgaben von anderen zu übernehmen. Regulierung und Politik müssen hierfür entsprechende Prüfkriterien und Kontrollinstanzen einsetzen.
11. Einspeisenetz-Offensive
Viele Netzbetreiber sind – wie oben erläutert – strukturell überlastet. Zugleich sind Betreiber größerer PV-Anlagen oftmals auf den Bau zusätzlicher Netzinfrastrukturen angewiesen. Wenn aber VNB keinen hinreichenden Antrieb zum Netzausbau zeigen oder ihnen die finanziellen Mittel dafür fehlen (bzw. diese aus verschiedenen Gründen nicht abgerufen werden), so liegen PV-Kapazitäten ohne Netzanbindung brach. Projektiererkönnen diese Lücke derzeit nicht füllen, denn sie dürfen keine eigenen Netzanschlusskapazitäten schaffen.
Das Problem ist, dass VNB den Netzausbau traditionell mit einem Versorgungsauftrag verbinden: Wie ihr Name schon sagt, waren Verteilungsnetze für die Verteilung des Stroms zuständig und über Jahrzehnte so geplant worden. Im konventionellen Stromsystem war es ihre Aufgabe, den überregional in Großkraftwerken erzeugten und aus Übertragungsnetzen kommenden Strom über die fein verästelten Leitungen an die Verbraucher:innen zu liefern. Dieses Prinzip kommt aus der Historie der Energiewirtschaft und ist tief in Anschlussbedingungen, Praxisprozessen und der Regulierung verankert.
„Ausspeisenetze“ zu errichten und die Versorgung der Menschen und Gewerbe sicher zu gewährleisten, war bisher die Kernaufgabe der VNB. Und sie wird oftmals auch noch so interpretiert. Vor allem in ländlichen Regionen dreht sich aber das Verhältnis oft um. Während in der Stadt weiterhin vor allem die Lieferung dominiert und „Netze zur allgemeinen Versorgung“ dienen, wird hier die Einspeisung und der Abtransport zur neuen Kernaufgabe.
Die Gesetzgebung und Anreizregulierung unterscheidet hingegen bisher nicht, sondern gibt dieselben Regeln für diese heterogene Lage vor. An dieser Stelle braucht es daher eine gemeinschaftliche Offensive, die sich an den neuen Bedarfen und Anforderungen des Erneuerbaren Energiesystems mit seinen millionenfach ans Netz gehenden, dezentralen Einspeisern orientiert.
Es gilt, Einspeisenetze in ihrer Logik besser zu verstehen, diese zu ermöglichen und entsprechend anzureizen. Das können von VNB, aber auch privatwirtschaftlich organisierte Netzinfrastrukturen sein. Was es bräuchte, wäre die Einführung eines Wettbewerbs durch Vergaberegularien sowie ein verbrieftes Planungsrecht für die Privatwirtschaft und die Anbindung an die Höchstspannungsebene mit entsprechendem Rechtsanspruch. Zudem wäre mindestens eine Teilabsicherung der Refinanzierung über Netzentgelte zu regeln. Denkbar wäre die gezielte Schaffung von „Einspeisenetzen“ für Cluster von Wind & PV-Anlagen, wie sie auch in anderen EU-Mitgliedsstaaten praktiziert werden (siehe Irland[47]). Deutschlandweit könnten in den kommenden Jahren mehrere hundert derartige Betreibernetze inkl. entsprechender Umspannwerke entstehen. International (z.B. UK für Offshore Windenergie) gibt es vergleichbare Konstrukte, in denen die Privatwirtschaft Leitungen baut und diese in die regulierten Assets übergehen. Allerdings entsteht auch Transaktionsaufwand beim „merchant based infrastructure invest“, der beachtet werden muss.
Eine gemeinschaftlich getragene Einspeisenetz-Offensive muss eine neue Betrachtungsweise der lokalen Netzstrukturen in ländlichen Räumen schaffen – weg vom reinen Verteilen hin zum Einspeisen.
[1] Vgl. https://www.netzentwicklungsplan.de/nep-aktuell/netzentwicklungsplan-20372045–2023
[2] Vgl. dazu u.a. https://www.reiner-lemoine-stiftung.de/pdf/RLS_New_Deal_f_r_das_Erneuerbare_Energiesystem_28_08_2020.pdf sowie https://www.reiner-lemoine-stiftung.de/pdf/Vor_Ort_Versorgung_mit_erneuerbaren_Energien.pdf
[3] https://www.zfk.de/energie/strom/an-das-verteilnetz-wird-zu-wenig-gedacht
[4] Entschließung des Bundestags vom 10.11: https://dserver.bundestag.de/btd/20/091/2009187.pdf#page=12 (Seite 12, Punkt 3 und 4)
[5] https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Publikationen/Energie/photovoltaik-stategie-2023.pdf?__blob=publicationFile&v=4
[6] https://www.bundesnetzagentur.de/DE/Beschlusskammern/BK06/BK6_83_Zug_Mess/841_SteuVE/BK6_SteuVE_node.html
[7] https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Artikel/Energie/Energiespeicher/stromspeicher-strategie.html
[8] https://dserver.bundestag.de/btd/20/091/2009187.pdf#page=12
[9] https://www.iea.org/news/lack-of-ambition-and-attention-risks-making-electricity-grids-the-weak-link-in-clean-energy-transitions
[10] PV ist vor allem ein Thema der Verteilnetzbetreiber, weil rund 90 Prozent der PV-Anlagen in die Netze der VNB einspeisen.
[11] Dies können Planer und Projektierer aber auch Betreiber sowohl großer als auch kleiner PV-Anlagen sein.
[12] Vgl. Olaf Scholz in: https://www.sueddeutsche.de/politik/lng-scholz-koalition-fluessiggas-terminal‑1.5717441?reduced=true
[13] https://www.ews-schoenau.de/export/sites/ews/ews/presse/.files/studie-redispatch-foes.pdf
[14] https://dserver.bundestag.de/btd/20/090/2009016.pdf
[15] Bis zu 50% der Netzbegehren sind nach Einschätzung von Expert:innen in der Folge fehlerhaft („falsche Häkchen“).
[16] https://dserver.bundestag.de/btd/20/091/2009187.pdf
[17] https://spannungshaltung.de/spannungshaltungsmassnahmen/ bzw. https://ront.info/
[18] https://www.vnbdigital.de/
[19] Für Netzbetriebsmittel wie z.B. Trafostationen sind aufgrund der heterogenen Bestellungen praktisch immer Sonderanfertigung erforderlich mit detaillierten Vorgaben bis auf Ebene von Schaltern, Anzeigen etc. Das treibt Kosten und kostet Zeit.
[20] Man fragt für sein Projekt beim Netzbetreiber mit einer konkreten Anlagenleistung für einen konkreten Netzverknüpfungspunkt (NVP) an und bekommt eine Ablehnung, dass diese Leistung aus Kapazitätsgründen nicht angeschlossen werden kann. Dann spielt man “Schiffe versenken” mit dem Netzbetreiber über mehrere Netzanfragen, die manchmal jeweils sechs Monate brauchen und bis zu einem Jahr, bis man die konkret genau mögliche Anschlussleistung ermittelt hat. Dieses Problem betrifft eher Anlagen im mittleren Leistungsbereich zwischen 30–300/500 kWp.
[21] https://www.bdew.de/media/documents/BDEW-Leitfaden_zur_Umsetzung_von__6_19_NAV_und__8_Absatz_7_EEG_int.pdf
[22] https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Publikationen/Energie/photovoltaik-stategie-2023.pdf?__blob=publicationFile&v=4
[23] https://www.lee-mv.de/wp-content/uploads/2023/11/BNetzA-Zerres.pdf
[24] https://www.bundesnetzagentur.de/DE/Fachthemen/ElektrizitaetundGas/Netzentgelte/Anreizregulierung/start.html
[25] https://www.bundesnetzagentur.de/DE/Fachthemen/ElektrizitaetundGas/Aktuelles_enwg/GBK/Eckpktpapier.pdf
[26] PV ThinkTank, 06/2023: Deutschland braucht eine Speicherstrategie https://pv-thinktank.de/2023/06/07/deutschland-braucht-eine-speicherstrategie/
[27] Vgl. https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.423526.de/13–26‑4.pdf
[28] https://www.lee-mv.de/wp-content/uploads/2023/11/BNetzA-Zerres.pdf
[29] Diesen Bedarf sieht auch das BMKW: „Um die stark wachsenden Anteile der Stromerzeugung aus Windenergie (…) sowie Photovoltaik (Ziel: 215 GW in 2030) zu integrieren, wird künftig viel Flexibilität im Energiesystem erforderlich sein. Neben der Bedeutung des europaweiten Netzausbaus und Strombinnenmarkts zum grenzüberschreitenden Ausgleich von Erzeugungsspitzen und der Flexibilisierung von Verbrauchseinrichtungen wächst damit auch der Bedarf an Energiespeichern (Strom, Wärme, Wasserstoff)“, so wird es in der jüngst vorgelegten Speicherstrategie formuliert: https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Artikel/Energie/Energiespeicher/stromspeicher-strategie.html
[30] https://www.agora-energiewende.de/fileadmin/Projekte/2023/2023–14_DE_Flex_heben/A‑EW_315_Flex_heben_WEB.pdf; https://www.pv-magazine.de/2023/11/08/netzspeicherausbau-koennte-eeg-konto-um-drei-milliarden-euro-im-jahr-entlasten/; https://reiner-lemoine-institut.de/wp-content/uploads/2023/12/394_wp_flex_final_report‑2.pdf https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.885807.de/diwkompakt_2023-197.pdf
[31] Siehe z.B. https://www.reiner-lemoine-stiftung.de/pdf/RLS_Impulspapier_Weichenstellungen_Ern_Energiesystem_Nov%202020_V2.pdf oder https://pv-thinktank.de/wp-content/uploads/2023/06/PV-TT_Impuls_Deutschland-braucht-eine-Speicherstrategie.pdf oder https://reiner-lemoine-institut.de/wp-content/uploads/2023/12/Debattenpapier_Duempelmann_Holstein_et_al.pdf
[32] https://www.reiner-lemoine-stiftung.de/pdf/Vor_Ort_Versorgung_mit_erneuerbaren_Energien.pdf
[33] https://www.reiner-lemoine-stiftung.de/pdf/Institutionelle-Transformation-fuer-die-Energiewende.pdf
[34] So gibt es kaum einsehbare Datenbanken oder Studien über das deutsche Energienetz, was aber nicht an der technischen Unmöglichkeit liegt: Geeignete Standorte und Netzstrukturdaten sind beispielsweise bei Tennet in den Niederlanden frei verfügbar, in Deutschland hingegen wegen der anderen Rechtslage hingegen nicht.
[35] https://www.lee-mv.de/wp-content/uploads/2023/11/BNetzA-Zerres.pdf
[36] Tagesspiegel Background Klima&Energie, 27.06.2023, K. Müller und B. Haller: Netze werden vorausschauend geplant und ausgebaut: Vorausschauenden Ausbau der Stromverteilernetze ist möglich. https://background.tagesspiegel.de/energie-klima/netze-werden-vorausschauend-geplant-und-ausgebaut
[37] https://data.bundesnetzagentur.de/Bundesnetzagentur/SharedDocs/Mediathek/Monitoringberichte/MonitoringberichtEnergie2023.pdf
[38] https://www.vnbdigital.de/service/region
[39] https://www.agora-energiewende.de/aktuelles/dezentralitaet-wird-zum-dauerhaft-praegenden-strukturmerkmal-des-energiesystems-das-hat-folgen-fuer-energiepolitik-und-energierecht
[40] Siehe Animation auf https://ront.info/
[41] https://spannungshaltung.de/grundlagen/, bzw. https://spannungshaltung.de/spannungshaltungsmassnahmen/
[42] https://www.vnbdigital.de/
[43] Zahlen für 2023 finden sich hier: https://data.bundesnetzagentur.de/Bundesnetzagentur/SharedDocs/Mediathek/Monitoringberichte/MonitoringberichtEnergie2023.pdf
[44] https://data.bundesnetzagentur.de/Bundesnetzagentur/SharedDocs/Mediathek/Monitoringberichte/MonitoringberichtEnergie2023.pdf
[45] https://reiner-lemoine-institut.de/wp-content/uploads/2023/12/Debattenpapier_Duempelmann_Holstein_et_al.pdf. Eine Monopolstellung bei der marktlichen Bewirtschaftung von „Smart Grids“ sollte dabei gleichwohl vermieden werden, vgl. https://www.pv-magazine.de/2019/09/25/die-neue-eon-auf-dem-weg-zur-datenkrake-fuer-photovoltaik-betreiber/
[46] https://www.reiner-lemoine-stiftung.de/pdf/Institutionelle-Transformation-fuer-die-Energiewende.pdf
[47] Vgl. https://lightsourcebp.com/ie/projects/ und https://www.obton.com/ie/news/obton-to-invest-more-in-irish-solar-energy-sector/